Der große und der kleine Drache

Es ist Winter im Drachenland und draußen tobt schon seit vier Tagen ein Schneesturm. Der große und der kleine Drache haben den Höhleneingang verrammelt, im Kamin prasselt ein Feuer und es duftet nach dem Kuchen, den sie heute Morgen gebacken haben. Der große Drache hat sich vor das Feuer gesetzt und starrt konzentriert in seinen Laptop. 

“Was guckst du dir an?”, fragt der kleine Drache. “Ich gucke gar nichts, ich muss arbeiten”, brummt der große Drache und tippt auf der Tastatur herum. “Was arbeitest du?”, fragt der kleine Drache und klettert auf seinen Schoß. “Hmm….”, macht der große Drache und schiebt seinen Kopf zur Seite. “Was arbeitest du?”, fragt der kleine Drache nochmal. “Sei mal still, ich muss arbeiten”, knurrt der große Drache. “Ja! Aber! Was! Arbeitest! Du!”, quengelt der kleine Drache und tippt auch mal auf die Tastatur. “Lass das! Ich muss einen Bericht schreiben und dafür muss ich mich konzentrieren!” “Darf ich mithelfen?” Der große Drache seufzt. “Nein, aber lieb, dass du fragst. Geh doch was spielen.” “Was soll ich denn spielen?”, jammert der kleine Drache. “Spiel mit deiner Eisenbahn, das machst du doch sonst so gerne.” “Spielst du mit?” “Später.” “Später, später…”, mault der kleine Drache und holt die Eisenbahnkiste. Er kippt die Schienen aus, und da kommt ihm eine Idee. 

Vom Bahnhof fährt der Zug über weite Felder, hinein in den Wald. Dahinter ragt das Gebirge auf. Langsam kämpft sie sich die Hügel empor, dann geht es auf einmal steil ins Tal hinab, doch da ragt schon die nächste Felswand empor – “Lass das!”, knurrt der große Drache und zuckt ärgerlich mit dem Schwanz. Das Erdbeben wirft den Zug von den Schienen. “Hey!”, ruft der kleine Drache, “Die Schienen sind gerade erst verlegt worden!” “Hmm…”, der große Drache ist schon wieder hinter dem Bildschirm verschwunden. 

Die Eisenbahnstrecke ist hinüber, da spielt er lieber mit seinen Puppen. Heute ist nämlich eine große Zirkusvorstellung geplant! Die Puppen haben sich ganz besonders schön gemacht, sie tanzen auf dem Seil und führen Zaubertricks auf. Das Publikum ist begeistert! Dann betritt die große Künstlerin Fräulein Glitzer die Bühne. Sie wird heute ihren berühmten Doppelten-Dreifach-Salto vorführen! Das Publikum hält den Atem an! Sie nimmt Anlauf, wirbelt durch die Luft – “Hey, sei bitte ein bisschen vorsichtig!”, schimpft der große Drache. “Ich muss mich konzentrieren!”

“Ich muss mich auch konzentrieren!”, sagt der kleine Drache, aber nur ganz leise. Die Zirkusvorstellung wird also abgesagt. Er stopft die Puppen zurück in den Korb. Die Zirkusrequisiten kickt er in die Ecke. Ein kleiner Ball rollt heraus, er kickt ihn zurück. Der Ball prallt an der Wand ab und saust zurück, der kleine Drache muss einen ganz schönen Satz machen, um ihn zu erwischen. Er holt aus, zielt aufs Tor, der Ball segelt durch die Luft und – “Jetzt ist Schluss!”, brüllt der große Drache und spuckt dabei kleine Flammen, “Kann man in dieser Höhle nicht einmal seine Ruhe haben? Räum das Chaos auf und dann will ich nichts mehr von dir hören!” “Das ist gemein!”, schreit der kleine Drache zurück, “Das wäre alles nicht passiert, wenn du nicht immer vor deinem blöden Laptop sitzen würdest!” Er hat einen dicken Kloß im Hals und rennt zum Höhleneingang, aber der ist zu und alleine bekommt er die Tür nicht geöffnet.

Wütend tritt er dagegen, aber bricht sich eine Kralle ab. Das tut so weh, dass ihm die Tränen in die Augen schießen und dann bricht ein ganzer Wasserfall aus ihm heraus. “Komm, ich hol ein Pflaster”, sagt der große Drache und gibt ihm ein Taschentuch. Er ist immer noch sauer, aus seinen Ohren kräuseln Rauchschwaden. “Ich will kein Pflaster!”, heult der kleine Drache, “Mach die Tür auf! Ich zieh aus, dann hast du deine Ruhe und kannst arbeiten so viel du willst!” “So ein Quatsch”, sagt der große Drache, “Du bleibst schön hier. Ich hab dich viel zu lieb und es wäre ganz schön langweilig ohne dich.” Er gibt dem kleinen Drachen einen dicken Kuss, dann guckt er streng. “Außerdem musst du noch aufräumen. Aber erstmal verarzten wir deine Kralle.” Er holt ein großes Pflaster und klebt es über die Kralle: “Spätestens nächste Woche ist das nachgewachsen.” 

Dann seufzt er: “Es tut mir leid, dass ich dich so angebrüllt hab. Das war ungerecht. Ich muss den Bericht morgen meiner Chefin präsentieren und ich mache mir Sorgen, dass sie ihn nicht gut finden wird. Deshalb will ich gut vorbereitet sein, und das braucht einfach Zeit” Der große Drache sieht ganz hilflos aus und der kleine Drache fühlt sich ziemlich schlecht. “Das wusste ich ja nicht”, murmelt er, “Mir tut’s auch leid. Ich wollte doch nur ein bisschen spielen, es ist so langweilig, wenn du gar nicht antwortest.” “Ja, das versteh ich”, sagt der große Drache, “Und nachher schau ich mir deine Zirkusvorstellung an, in Ordnung? Aber vorher musst du ein bisschen aufräumen und ich muss noch ein bisschen arbeiten.”

Und das machen sie.

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