Schwerter klirren, die Luft ist heiß und schwül. Staub tanzt und glitzert im Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster in die Übungsarena fällt. Elly ist in ihrem Element. Der Schweiß läuft ihr den Rücken herunter, als sie die Angriffe ihrer Gegnerin pariert, ein Mädchen mit strengen Zöpfen und verbissenem Gesichtsausdruck. Sie will gewinnen und sie ist gut vorbereitet. Sie hat einen Plan. Und dieser Plan mündet im Halbmond-Hammerschlag, einer komplizierten Schlagabfolge. Korrekt pariert muss die Verteidigerin einen Schritt nach vorn machen und lässt dabei eine Lücke in der Deckung, perfekt für den Hammerschlag. Elly grinst und macht einen Ausfallschritt zur Seite. Das Schwert ihrer Gegnerin saust ins Leere und das Mädchen keucht und taumelt, versucht ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Ellys Arme und Füße bewegen sich wie von selbst. Sie greift an, tänzelt vor und zurück, gibt ihrer Gegnerin gerade genug Zeit, um sich aufzurappeln, greift wieder an und dann- “Elly! Mathilda! Schwerter runter!”
Die Mädchen lassen die Schwerter sinken, Elly verwirrt, Mathilda sichtbar erleichtert. Die Schwertlehrerin Iska baut sich vor Elly auf, die Stirn in so viele wütende Falten gelegt, dass ihr Gesicht aussieht wie eine Karte der Buckelberge. Die alte Kriegerin geht Elly nur bis zur Brust, aber angeblich ist sie stark genug, um einen ausgewachsenen Troll im Faustkampf zu schlagen. Ihre Augen funkeln vor Wut.
“Wozu übe ich mit euch jeden Morgen drei Stunden Schlagabfolgen, wenn ihr euch sowieso nicht daran haltet? Elfriede?”
Elly blinzelt, ihr Atem geht schnell, sie wischt sich den Schweiß von der Stirn. “Ich hab doch nur …”
“Du hältst dich wohl für besonders schlau, einfach die Regeln zu brechen, was?” Iskas Augen funkeln hinterhältig. “Ich sag dir jetzt mal was, Mädchen. Bei einem Turnier wärst du schon längst disqualifiziert worden. Rote Karte, beim ersten Schlagabtausch. Das hatten wir auch noch nie.” Mathilda kichert und Elfriede merkt, wie sie rot anläuft. “Ha! Kämpfen kannst du, aber was nützt das alles!”, Iska schimpft weiter, “Damals, als wir noch gegen Drachen gekämpft haben, da hätte ich eine anständige Kriegerin aus dir machen können, aber heutzutage… Ach, Mädchen”, die Lehrerin seufzt und sieht auf einmal sehr alt und müde aus, “was soll nur aus dir werden? Wo ist deine Ritterehre? Mach Schluss für heute. Nächstes Mal schauen wir uns noch einmal das Turnier-Regelwerk an.”
Die alte Ritterin schlurft davon und Mathilda zeigt Elly eine lange Nase, sicherheitshalber aber aus einiger Entfernung. Ritterehre, von wegen. Elly ist das egal. Sie stopft das Übungsschwert ungeputzt in die Ablage und läuft hinaus in den Garten. Sie braucht erstmal frische Luft.
Im Garten summen die Bienen, es riecht nach Lavendel. Elly atmet tief ein und aus, während sie an den Blumenbeeten entlang spaziert und mit den Händen über die duftenden Blüten streicht. Ihr Kopf wird langsam wieder klar. Sie soll sich nicht mitreißen lassen, das hat Iska ihr schon tausend Mal gesagt. Sich an die Regeln halten, das haben sie doch geübt. Aber wenn sie ein Schwert in der Hand hat, vergisst sie das einfach.
Apropos vergessen: In welchem Teil vom Garten ist sie hier eigentlich gelandet? Der Schulkomplex ist riesig, ständig verläuft sie sich. Statt zwischen Blumenbeeten, Pferdeställen und Übungsplätzen steht sie in einem Park mit großen, schattigen Bäumen. Mittendrin steht ein Pavillon, aus dessen offenen Fenstern Musik dringt. Neugierig läuft Elly näher.
Die Musik wird lauter, Klavier und Geige, getragen und trotzdem mitreißend. Im Pavillon tanzen etwa dreißig Mädchen und Jungen, paarweise wirbeln sie durch den Raum. Ellys Füße kribbeln, ihr rechter Fuß wippt im Takt. Sie beobachtet die Schritte der Paare, vor, zurück, zur Seite, zusammen. Ellys Füße tanzen bereits mit. Die Musik fließt durch ihren Körper und trägt sie davon, sie wirbelt über den Rasen, dreht sich immer schneller – und prallt fast mit einem Mädchen zusammen, das auf einmal vor ihr steht. Das Mädchen ist fast so groß wie sie selbst, hat kurze, dunkle Locken und stemmt grinsend die Hände in die Hüften. Ihre Augen funkeln, als sie anerkennend in die Hände klatscht und sagt: “Das war wirklich beeindruckend. Wo hast du tanzen gelernt?” Elly schnappt verlegen nach Luft, ihr ist ein bisschen schwindelig von der Dreherei. “Da war die Musik und meine Füße …”, sie zuckt die Schultern, “meine Füße machen einfach, was sie wollen.” Das Mädchen mit dem Lockenkopf lacht: “Hast du aber Glück, dass sie das so gut machen. Magst du mit reinkommen? Ich hab heute sowieso keine Partnerin.” Ellys Kopf nickt, bevor ihr Mund irgendwelche Einwände finden kann. “Prima!”, sagt das Mädchen erfreut, “Wie heißt du eigentlich?” “Elfriede Feuerfaust. Aber alle nennen mich Elly. Und du?” Das Mädchen holt tief Luft: “Lorealina Zinamone Emilia-Helga von Rosenblatt. Die Namen meiner Großmütter. Tolle Frauen, alle beide, leider mit komplizierten Namen. Du kannst mich Lolly nennen.” Lolly hakt sich bei Elly unter. “Ich hoffe, du kannst führen?”
Die Tanzstunde vergeht wie im Flug. Lolly ist auf dem Prinzessinnenzweig der Schule, genau wie ihre Mitschüler:innen. Tanzen gehöre zur Grundausbildung erklärt sie Elly, denn auf den Bällen werden wichtige Verträge und Abkommen verhandelt. Deshalb ist Politik, das nächste Fach, genauso wichtig. Eine schier endlose Stunde lang erklärt ein arroganter, vornehm gekleideter Mann im Anzug komplizierte Diagramme mit vielen Pfeilen und Zahlen, die verdeutlichen sollen, welche Länder gerade Handel treiben, zusammenarbeiten oder versuchen sich gegenseitig hinters Licht zu führen.
Als sie endlich in der Kantine sitzen, schwirrt Elly der Kopf. “Das erinnert mich an die Turnierregeln. Auf A muss immer B folgen, das gehört zur Ritterehre. Aber hier tun alle nur so, als ob sie sich an die Regeln halten und in Wirklichkeit schmieden sie andere Pläne, die dann auf den Tanzbällen besprochen werden. Und ich dachte, die Ritterausbildung ist kompliziert!” Lolly lacht: “Du wärst eine ziemlich gute Prinzessin!” Elly strahlt. Keine ihrer Lehrer:innen hat bisher gesagt, dass sie eine gute Ritterin wäre. “Meinst du, ich könnte bei euch anfangen?” Lolly zuckt die Schultern. “Klar, warum denn nicht? Schreiben, Lesen und Rechnen lernen wir doch sowieso alle.” Sie zwinkert Elly zu: “Und die Ehre ist bei uns natürlich auch wichtig. Schließlich repräsentieren wir unser Königreich.” Elly schiebt sich nachdenklich einen Löffel Käsespätzle in den Mund. Ein Königreich, das hatte sie ganz vergessen.
“Was ist? Hab ich was Falsches gesagt?”, Lolly reißt sie aus ihren Gedanken. “War doch nur Spaß mit der Ehre.” Elly schüttelt den Kopf. “Die Ehre ist mir egal. Aber ich kann doch keine Prinzessin werden, wenn ich kein Königreich habe.” Lolly runzelt die Stirn. “Vielleicht kannst du eins erben?” Elly schüttelt den Kopf. “In meiner Familie hat niemand ein Königreich zu vererben. Und ein Königspaar ohne Kinder muss doch einfach nur einen Ball schmeißen und kann sich vor passenden Kandidat:innen gar nicht retten.” Ratlos stochern die beiden auf ihren Tellern herum. Dann leuchten Lollys Augen auf. “Ich hab’s! Du weißt doch, wer einem Königspaar einen großen Dienst erweist, der bekommt als Dank …” “… das halbe Königreich!” Elly strahlt, aber dann verdüstert sich ihr Blick wieder. “Aber wie soll ich einem Königspaar einen großen Dienst erweisen? Ich gehe doch noch zur Schule. Und so wie es gerade läuft werd ich auch noch eine ganze Weile brauchen, bis Iska mit mir zufrieden ist.”
“So ein Quatsch”, winkt Lolly ab, “Erstens hab ich heute gesehen, wie du tanzt. Wenn du nur halb so gut kämpfst, stehen deine Chancen nicht schlecht. Zweitens gehst du natürlich nicht allein, ich komme mit”, sie reibt sich die Hände, “Dieses Jahr werde ich schon zwölf und ich habe noch kein richtiges Abenteuer erlebt. Außerdem beginnen nächste Woche die Sommerferien, das passt perfekt.” “Du würdest wirklich mitkommen?”, Elly fällt ihrer neuen Freundin um den Hals, “Aber darfst du das denn?” Lolly reckt das Kinn und sieht auf einmal sehr majestätisch aus. “Aber natürlich. Schließlich bin ich Prinzessin. Und ab sofort auch Kriegerin.” Sie hebt ihr Glas: “Auf Elly und Lolly!” Elly hebt ebenfalls ihr Glas: “Auf Lolly und Elly, die berühmten Kampfprinzessinnen. Die Leute werden sich vor Lachen in die Hosen pinkeln.” Lolly hebt in gespielter Empörung die Augenbrauen: “Was müssen meine königlichen Ohren da vernehmen? Vor Angst werden sie sich in die Hosen pinkeln, Elfriede Feuerfaust, so wahr ich Lorealina Zinamone Emilia-Helga von Rosenblatt heiße!”
2 Kommentare
Kommentieren →Sehr schöne Geschichte.
Ich glaube, dass am Ende Lolly die Augenbrauen hebt, nicht Elly, kann das sein?
LG
P. S. Habe die Geschichten schon weiter empfohlen!
Oh ja, du hast natürlich Recht! Das hab ich gleich angepasst, vielen Dank 🙂