Pia Piratin und das Seepferdchen

“Nächstes Mal klappt es bestimmt”, Papi streicht Pia übers Haar. “Ich hab erst Schwimmen gelernt, da war ich schon zehn!” 

Schön für Papi, aber so lange will Pia wirklich nicht warten. Nach den Sommerferien macht die ganze Kindergruppe einen Ausflug ins Freibad, aber nur wer schon ein Seepferdchen hat, darf auch rutschen. Blödes Seepferdchen! Acht Kinder haben schon vor den Sommerferien ganz stolz ihre blöden Badehosen mitgebracht mit dem blöden Seepferdchen-Abzeichen. Alle anderen wollen während der Sommerferien üben. Letzte Woche hat Darja angerufen, sogar die hat jetzt ein Seepferdchen. Dabei hat Darja sich vor den Sommerferien nicht mal getraut, vom Beckenrand zu springen. Pia traut sich schon lange vom Beckenrand zu springen und auch vom Startblock, wenn Papi sie im Wasser auffängt. Und mit Schwimmflügeln schwimmt sie wie ein Fisch, das hat sogar die Bademeisterin gesagt. Aber für das blöde Seepferdchen muss man ohne Schwimmflügel schwimmen und dann fühlt Pia sich gar nicht wie ein Fisch. Eher wie eine ertrinkende Fliege, die ins Wasser gefallen ist und verzweifelt mit den Flügeln schlägt und trotzdem nicht vorankommt. Davon gibt es viele im Freibad. 

“Ich hol uns Pommes, kommst du mit?”, fragt Papi. Pia schüttelt den Kopf und planscht mit den Füßen im Wasser. “Na gut, dann warte eben hier. Aber es dauert bestimmt einen Moment, die Schlange ist ganz schön lang.” Die Spritzer treffen eine Dame mit türkiser Badekappe, die sich empört umdreht. Selbst Schuld, die hat bestimmt ein Seepferdchen. Soll sie doch im großen Becken schwimmen gehen, da gibt es keine spritzenden Kinder. “Mir doch egal”, brummelt Pia. Papi zuckt die Schultern und schlendert zum Kiosk. 

Von der Rutsche kreischen Kinder. Blöde Rutsche. Pia will gar nicht rutschen. Rutschen ist genauso blöd wie schwimmen! Pias Spritzfontäne erreicht neue Höhenrekorde. Die Tropfen glitzern in der Sonne. Nur die Tropfen? Da hat doch gerade noch etwas anderes geglitzert. Pia hört auf zu planschen und starrt ins Wasser. Da unten glitzert etwas golden. Etwas kleines, was fast aussieht wie ein … Neben ihr springt ein Mädchen ins Wasser, mit Arschbombe. Pia wird nass gespritzt und das goldene Glitzern verschwindet. “Hey!”, ruft sie ärgerlich, “Pass doch auf!” 

“Pass selber auf!”, ruft das Mädchen zurück und schwimmt weg. Auf dem Rücken, so eine blöde Angeberin. Pia starrt wieder ins Wasser, aber das Funkeln ist verschwunden. Nein, doch nicht! Da unten im Wasser schwimmt etwas, nicht größer als Pias kleiner Finger. Zögernd rutscht Pia ins Wasser. Hier kann sie noch stehen, da braucht sie keine Schwimmflügel. Und fünf Schwimmzüge schafft sie sicher, das hat sie mit Papi schon oft geübt. Das kleine goldene Ding schwimmt um ihre Füße. 

Pia holt tief Luft und hält sich die Nase zu. Dann taucht sie unter und reißt die Augen auf. Eigentlich mag sie das nicht. Das Chlorwasser brennt in den Augen und in der Nase und Papi hat die Schwimmbrille mitgenommen. Aber sie muss einfach wissen, was das ist! Tatsächlich: Dicht über dem Boden schwimmt ein kleines, goldenes Seepferdchen! 

Pia streckt die Hände aus, aber dann muss sie Luft holen. Prustend taucht sie auf und schüttelt sich das Wasser aus den Haaren und aus den Ohren. Papi steht immer noch in der Schlange und winkt ihr zu. Pia winkt zurück, holt noch tiefer Luft und taucht noch einmal unter. Sie streckt die Hände aus und das Seepferdchen tanzt um ihre Finger. Dann muss sie wieder auftauchen. Sie reibt sich das Wasser aus den Augen und schnieft. Das Seepferdchen ist auch aufgetaucht, es streckt sogar das Köpfchen aus dem Wasser und schüttelt sich. Pia lacht und streckt die Hände aus, aber das Seepferdchen tanzt davon. Pia hüpft hinterher. Jetzt wird das Becken tiefer und sie kann nur noch auf den Zehenspitzen stehen. “Warte doch!”, ruft sie dem Seepferdchen hinterher, aber das tänzelt weiter, immer gerade außer Reichweite von ihren Händen. Pia zögert kurz, dann stößt sie sich mit den Zehenspitzen vom Boden ab und macht einen Schwimmzug. So ist sie viel schneller und damit hat das Seepferdchen nicht gerechnet! Aber es flutscht ihr durch die Finger und entwischt. Noch ein Schwimmzug. Pia beißt die Zähne zusammen. Noch ein Schwimmzug. Das freche Seepferdchen hopst über die Wellen, taucht unter und wieder auf, immer gerade so außer Reichweite. Es macht sich über sie lustig! Na warte, denkt Pia. Ihre Arme pflügen durchs Wasser. Ihre Beine stoßen sie nach vorne. Sie schwimmt wie ein Frosch! Oder wie ein Oktopus, wie ein Fisch! Und da taucht auch schon der andere Beckenrand auf. Das Seepferdchen sieht ihn nicht, weil es rückwärts schwimmt und Pia die Zunge rausstreckt. Pia grinst, das ist ihre Chance. Noch ein Schwimmzug und noch einer und dann –  

Pias Hände schlagen zusammen wie zwei Baggerschaufeln. Darin sitzt das Seepferdchen und guckt sie verdutzt an. Dann zwinkert es, schlägt mit dem Schwanz, flutscht durch ihre Finger, macht einen eleganten Salto und taucht unter. Ein goldenes Glitzern sinkt nach unten. Pia holt tief Luft und taucht hinterher. Sie streckt die Finger aus, das Wasser drückt auf ihre Ohren. Noch ein winziges Stück, dann berühren ihre Fingerspitzen den Beckenboden, ihre Hand schließt sich um das Glitzern und sie taucht prustend und hustend auf. 

“JAAA!”, brüllt Papi, reißt sie aus dem Wasser und wirbelt sie durch die Luft. Pia ist ganz schwindelig. Ihr Herz pocht und sie schnappt nach Luft. “Das Seepferdchen”, flüstert Pia und öffnet ihre Hand. Darin ist kein Seepferdchen. Nur ein kleines, goldenen Kettchen, mit einem Muschelanhänger. “Ganz genau!”, jubelt Papi und führt einen Freudentanz auf. “Und du hast mein Armband gefunden!”, noch eine bekannte Stimme. Das Gesicht der Bademeisterin taucht vor Pia auf, sie strahlt noch mehr als Papi. “Hast du das hier aus dem Wasser geholt? Das ist doch fast ein Meter dreißig tief! Und durchs Becken bist du auch geschwommen?” Pia nickt, immer noch atemlos. “Ich wollte doch das Seepferdchen fangen”, bringt sie heraus. “Das sollst du kriegen, und ein Eis für das gefundene Armband geb ich dir auch aus”, sagt die Bademeisterin. “Aber du hattest Glück, dass ich zufällig zugeschaut hab, sonst müsstest du jetzt nochmal schwimmen!” Papi drückt Pia fest an sich. “Nächstes Mal sagst du mir Bescheid! Einfach ohne mich losschwimmen, ich hab vor Schreck die Pommes fallen lassen, als ich dich mitten im Becken gesehen hab!” Papi rubbelt sie mit dem Handtuch ab und redet davon, dass sie bitte trotzdem nicht alleine ins Wasser geht und immer Bescheid sagen muss, aber Pia hört gar nicht zu. Benommen folgt sie den beiden aufgeregten Erwachsenen zu der Tür, an der “Badeaufsicht” steht. 

Während Papi irgendwelche Zettel ausfüllt und mit der Bademeisterin redet, schaut Pia aufs Becken zurück. Funkelt da nicht etwas im Wasser? Pia presst die Nase an die große Scheibe. Tatsächlich! Da, direkt bei der Rutsche, tanzt das Seepferdchen durchs Wasser. Pia dreht sich schnell um. “Hier, deine Urkunde”, die Bademeisterin drückt ihr einen Zettel in die Hand. Pia staunt. Eine echte Urkunde, und da steht ihr Name! “Und hier”, fährt die Bademeisterin fort, “ist das Abzeichen.”

Ein goldenes Seepferdchen. Es glitzert in der Sonne. Und es wird ganz wunderbar an ihrer Badehose aussehen. “Sollen wir gleich nach Hause und Papa dein Seepferdchen zeigen?”, fragt Papi. Pia strahlt. Aber dann fällt ihr noch etwas ein: “Kann ich vorher noch einmal rutschen?” 

Oben auf der Rutsche hält Pia Ausschau nach dem Glitzern im Wasser. “Brauchst du noch länger? Ich schlaf gleich ein!” Das ist das Mädchen, was die Arschbombe gemacht hat. Es tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und starrt Pia mit verschränkten Armen an. “Bist du nicht vorhin im tiefen Wasser getaucht?” Pia streckt stolz das Kinn nach vorne: “Ja, ich hab nämlich heute mein Seepferdchen gemacht!” Das Mädchen sieht kurz beeindruckt aus, dann schnaubt es verächtlich: “Pah, blödes Seepferdchen. Hab ich nie gemacht. Will ich auch gar nicht.” Pia gibt sich einen Ruck. “Wenn du mir zeigst, wie man auf dem Rücken schwimmt, kann ich dir zeigen, wie man taucht.” Das Mädchen zögert, dann zuckt es betont gelangweilt mit den Schultern: “Mir doch egal.” Hinter dem Mädchen ruft ein Junge: “Rutscht ihr jetzt endlich mal? Ich schlaf gleich ein!” Die Mädchen grinsen sich an. Und dann rutschen sie zusammen. 

Schreibe einen Kommentar